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Medizinrecht

Rechtsberatung wird oft eingeholt, wenn es ein Problem gibt - allerdings kann eine Rechtsberatung vorbeugend viele Fehler oder gegeben falls Streitigkeiten vermeiden. Wer als Mediziner praktiziert oder eine Praxis gründet, möchte sich rechtlich abgesichert wissen, denn selbst mit den besten Absichten können Konflikte entstehen, welche früher oder später negative Konsequenzen mit sich bringen. Ich berate Mediziner in allen juristischen Angelegenheiten, insbesondere präventiv bei wichtigen Entscheidungen, die eine rechtliche Absicherung benötigen.

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Urteile

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Honorarärzte im Krankenhaus sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig

Ärzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht. Bei einer Tätigkeit als Arzt ist eine Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst „höherer Art“ ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob die Betroffenen weisungsgebunden bzw. in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres ist bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. So sind Anästhesisten bei einer Krankenhaus-Operation in der Regel Teil eines Teams, das arbeitsteilig unter der Leitung eines Verantwortlichen zusammenarbeiten muss. Auch die Tätigkeit als Stationsarzt setzt regelmäßig voraus, dass sich die Betroffenen in die vorgegebenen Strukturen und Abläufe einfügen. Im Leitfall war die Ärztin wiederholt im Tag- und Bereitschaftsdienst und überwiegend im OP tätig. Hinzu kommt, dass Honorarärzte bei ihrer Tätigkeit ganz überwiegend personelle und sachliche Ressourcen des Krankenhauses nutzen, also nicht anders als beim Krankenhaus angestellte Ärzte vollständig in den dortigen Betriebsablauf eingegliedert sind. Unternehmerische Entscheidungsspielräume sind bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen hat keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegen von Versicherungspflicht. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht können nicht außer Kraft gesetzt werden, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete“ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.

 

Bundessozialgericht, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R und weitere

– Entscheidungen offenbar noch nicht veröffentlicht –

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Patientin ist an Kosten für Krankenbehandlungen nach ästhetischer Operation zu beteiligen

Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 SGB V hat die Krankenkasse Versicherte an den Kosten einer Heilbehandlung, die als Folge einer medizinisch nicht indizierten Operation anfallen, zu beteiligen. Hinsichtlich der Höhe der Kosten hat die Krankenkasse ein Ermessen. Bei dessen Ausübung sind der Grad des Verschuldens, die Höhe der Aufwendungen der Kasse, die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherten und seine Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen.
Nach einer operativen Brustvergrößerung auf eigene Kosten mussten bei einer gesetzlich Versicherten perforierte Brustimplantate entfernt werden. Die Krankenkasse verlangte von der Patientin eine hälftige Kostenbeteiligung.

Dem BSG zufolge verstoßen diese Entscheidung und auch die Regelung des § 52 Abs. 2 SGB V nicht gegen das Grundgesetz. Es erkannte keinen Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auch keinen gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 2 GG). Die Operation sei medizinisch nicht erforderlich gewesen, weswegen es sich um selbst verschuldete Kosten handele. Die Versicherung habe ihr Ermessen auch in Bezug auf die Höhe der Kostenbeteiligung rechtmäßig ausgeübt, so das BSG.

Bundessozialgericht, Urteil vom 27.08.2019 – B 1 KR 37/18 R

 

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Kasse muss Kosten künstlicher Befruchtung übernehmen

Auch Frauen fortgeschrittenen Alters haben einen Anspruch auf Kostenübernahme einer künstlichen Befruchtung durch ihre Krankenkasse.

Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) sind deren Erfolgsaussichten grundsätzlich nur am Behandlungsziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu messen. Das nach einer mittels reproduktionsmedizinischer Maßnahmen herbeigeführten Schwangerschaft allgemein bestehende und in Abhängigkeit zum Alter der Mutter steigende Risiko einer Fehlgeburt ist mithin grundsätzlich nicht mehr Gegenstand der Behandlung der Unfruchtbarkeit, sondern Teil eines allgemeinen Lebensrisikos, welches werdende Eltern unabhängig davon zu tragen haben, ob ihr Kind auf natürlichem Wege oder mit medizinischer Hilfe gezeugt worden ist.

Im entschiedenen Fall konnte der Mann einer 44-jährigen Frau auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen. Seine private Krankenversicherung lehnte die Übernahme der Kosten für die IVF (rund 17.500 €) mit Hinweis auf das Alter der Frau ab. Fehlgeburten kämen in dieser Altersgruppe häufiger vor. Der BGH stufte die vier Anläufe einer künstlichen Befruchtung jedoch als medizinisch notwendige Heilbehandlung mit ausreichender Erfolgsaussicht ein.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.12.2019 – IV ZR 323/18
 

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Ärztin klagt erfolgreich gegen Nachbesetzungsentscheidung

Bei der Nachbesetzung einer vertragsärztlichen Praxis (hier Einzelpraxis) hat der Zulassungsausschuss gemäß § 103 Abs. 4 und 5 SGB V den Praxisnachfolger unter mehreren Bewerbern nach folgenden Kriterien auszuwählen: berufliche Eignung, Approbationsalter, Dauer der ärztlichen Tätigkeit, Dauer der Eintragung in die Warteliste, Wille zur Fortführung der Praxis. Die Bevorzugung eines Bewerbers mit abgeschlossenem Praxisübernahmevertrag kommt nicht in Betracht. Unbeachtlich ist auch, mit welcher „Zielstrebigkeit“ ein Bewerber sich um eine vertragsärztliche Tätigkeit bemüht.

Bei der Nachfolgeregelung ist deren Zweck, den wirtschaftlichen Wert der Arztpraxis zu erhalten und eine kontinuierliche Versorgung zu gewähren, zusätzlich zur Geeignetheit des Bewerbers zu beachten. Anderenfalls ist die Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses rechtswidrig. Das gilt darüber hinaus für den Fall, dass der ZA den Sachverhalt unvollständig ermittelt.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.12.2018 – L 11 KA 86/16

 

Vorstellungsgespräch
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Keine Genehmigungsfiktion bei „Vorfestlegung“ durch Behandlungsvertrag

Beschafft sich eine gesetzlich Krankenversicherte eine beantragte Leistung (hier: Liposuktion) selbst, bevor die Entscheidungsfrist der Krankenkasse nach § 13 Abs. 3a S 1 SGB V abgelaufen ist, hat sie keinen Anspruch auf Kostenerstattung der selbstbeschafften Leistung. Dem steht § 13 Abs. 1 S. 7 SGB V entgegen. Ob die Versicherung den Erstattungsantrag innerhalb der vorgegebenen Frist bescheidet, spielt dann keine Rolle. Denn Fälle des Systemversagens liegen nicht vor, wenn sie für die Selbstbeschaffung der Versicherten gar nicht ursächlich werden. Eine Versicherte beschafft sich die Leistung ungeachtet ihrer Ausführung bereits dann selbst, wenn sie mit dem Leistungserbringer einen Vertrag schließt, in dem das schuldrechtliche Austauschverhältnis zwischen dem Leistungserbringer und ihr als Privatkundin vollständig geregelt ist, und aus dem sich die Höhe der Erstattungsforderung ergibt.

 

Bundessozialgericht, Urteil vom 27.10.2020 – B 1 KR 3/20 R

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Werbung für Krankschreibung ohne Arztbesuch

Die Bewerbung des Angebots, Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen („AU-Scheine“/AUB) über den Messenger-Service WhatsApp im Rahmen einer Fernbehandlung auszustellen, erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 9 S. 2 HWG und ist daher wettbewerbswidrig. Es ist mit dem Gebot der ärztlichen Sorgfalt nicht vereinbar, dass ein Arzt auf persönlichen Kontakt mit dem Patienten gänzlich verzichtet und seine Diagnose ausschließlich auf dessen Beantwortung einiger Fragen über das Internet stützt. Im Rahmen des beworbenen Geschäftsmodells werden die Antworten aus einem Internet-Fragebogen, die zur Diagnose einer Erkältung passen, einem „Tele-Arzt“ zur Ausstellung einer AUB übersandt. Die Bescheinigung wird dem Angebotsnutzer per WhatsApp und per Post zugeschickt. Eine Einzelfall-Abwägung kann auf diese Weise nicht stattfinden. Der Einwand, es seien nach über 70.000 Ferndiagnosen keinerlei Fehldiagnosen gemeldet worden, ändert an der Wettbewerbswidrigkeit nichts. Die ärztliche Prüfung des konkreten Einzelfalls bleibt in jedem Fall notwendig. Über die Zulässigkeit der beworbenen Fernbehandlung als solcher ist damit nichts gesagt. Eine telemedizinische Behandlung kann erhebliche Vorteile bieten – jedoch nur, soweit der behandelnde Arzt überprüfen kann, ob ein persönlicher Kontakt zum Patienten im konkreten Einzelfall tatsächlich (wie im Rahmen einer Videosprechstunde) nicht notwendig ist.



Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 05.11.2020 – 5 U 175/19

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Frau im Kaufhaus

Stoffmaske ist kein Medizinprodukt

Eine „Alltagsmaske“ in der Form einer „textilen Mund-Nasen-Bedeckung“ ist kein Medizinprodukt im Sinne von § 3 Nr. 1 MPG. Für die Beurteilung, ob ein Produkt – wie für die Einordnung als Medizinprodukt erforderlich – einem medizinischen Zweck diene, kommt es auf die (subjektive) Bestimmung des Herstellers an.

Im entschiedenen Fall war die streitgegenständliche Maske nicht mit einem Hinweis auf eine Verwendbarkeit zu medizinischen Zwecken versehen. Auch nach ihrer Gestaltung und Aufmachung war nicht von solch einer Verwendbarkeit auszugehen. Dass die Maske im Einzelhandel möglicherweise zusammen mit medizinisch anmutenden Gesichtsmasken ausgestellt worden sei, sei weder dem Hersteller oder Importeur noch der Großhändlerin zuzurechnen, befand das OLG Hamm. Im Sprachgebrauch der derzeit geltenden infektionsschutzrechtlichen Regelungen zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus handele sich bei der in Rede stehenden Maske um eine sog. „Alltagsmaske“.

Das Gericht konnte auch keine Pflicht zur Klarstellung erkennen, dass es sich bei der Maske nicht um ein Medizinprodukt handele.



Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 15.12.2020 – 4 W 116/20

Vermittlung von Eizellenspenden im 2-PN-Stadium strafbar

Zur Abgrenzung von Befund- und Aufklärungsfehlern 

Eine Gehörsverletzung liegt bereits dann vor, wenn das Berufungsgericht in einem Arzthaftungsprozess den Inhalt eines von der klagenden Patientin vorgelegten Befundberichts offensichtlich unzutreffend erfasst hat.

Der Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich, wenn das Berufungsgericht im Rahmen seiner Gesamtschau bei zutreffender Erfassung des Inhalts des Befundberichts zu dem Ergebnis gelangt wäre, die Patientin hätte von der beklagten Hausärztin bereits früher über den Befund informiert und/oder zur kurzfristigen Wiedervorstellung angehalten werden müssen (hier: keine Weitergabe einer Diagnose an Patientin, unterbliebene Behandlung, später Feststellung eines Pankreas-Karzinoms mit Metastasierung in der Leber).

Bei der Abgrenzung zwischen Befunderhebungsfehler und einem Fehler der therapeutischen Aufklärung ist darauf abzustellen, ob der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit des ärztlichen Fehlverhaltens in der unterbliebenen Befunderhebung als solcher oder im Unterlassen von Warnhinweisen zum Zwecke der Sicherstellung des Behandlungserfolges liegt. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt in Fällen, in denen es schon an dem Hinweis fehlt, dass ein kontrollbedürftiger Befund vorliegt und dass Maßnahmen zur weiteren Abklärung medizinisch geboten sind, regelmäßig nicht im Unterlassen von Warnhinweisen, sondern in der unterbliebenen Befunderhebung.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.04.2021 – VI ZR 498/19 

Der für die Auswertung eines Befundes verantwortliche Arzt hat all die Auffälligkeiten zur Kenntnis und zum Anlass für die gebotenen Maßnahmen zu nehmen, die er aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in diesem Bereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der Behandlungssituation feststellen muss. Diese Pflicht besteht erst recht dann, wenn, wie bei einem Mammographie-Screening, Zweck der Untersuchung die Früherkennung einer Krebserkrankung ist und es sich um eine im Rahmen der Anamnese nachgefragte und angegebene Auffälligkeit (hier: Mamillenretraktion) handelt, die auf eben eine solche Krebserkrankung hindeuten kann.

Wird ein Patient zutreffend über das Vorliegen eines kontrollbedürftigen Befundes und die medizinisch gebotenen Maßnahmen einer weiteren Kontrolle informiert und unterbleibt (lediglich) der Hinweis auf die Dringlichkeit der gebotenen Maßnahmen, so liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit regelmäßig in dem Unterlassen von Warnhinweisen.

 

Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.05.2020 – VI ZR 213/19 

Embryologe hinzufügen Spermien zur Eizel
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Ärztin macht Notizen

Medizinische Beurteilung ohne Sachverständigen

Beschwerde erfolgreich 

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, das den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Seine Beurteilung, der beklagten Kinderärztin sei nicht deshalb ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen, weil sie die beim Kläger im Kindesalter festgestellten Auffälligkeiten (Entwicklungsstörung der Motorik und der Sprache, Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, Störung der exekutiven Funktionen sowie im Sozialverhalten) nicht zum Anlass genommen hat, ihn zeitnah in einem sozialpädiatrischen Zentrum vorzustellen, beruht auf dieser Verletzung.

Die Frage, welche Maßnahmen der Arzt aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in diesem Bereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten in der jeweiligen Behandlungssituation ergreifen muss, richtet sich in erster Linie nach medizinischen Maßstäben, die der Tatrichter mit Hilfe eines Sachverständigen zu bestimmen hat. Er darf den medizinischen Standard nicht ohne eine entsprechende Grundlage in einem Sachverständigengutachten oder gar entgegen den Ausführungen des Sachverständigen aus eigener Beurteilung heraus festlegen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Tatrichter ausnahmsweise selbst über das erforderliche medizinische Fachwissen verfügt und dies in seiner Entscheidung darlegt. Außerdem muss der Tatrichter, wenn er bei seiner Entscheidung eigene Sachkunde in Anspruch nehmen will, den Parteien zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen.

Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht im Streitfall eine eigene medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens vorgenommen ohne aufzuzeigen, dass es über die erforderliche medizinische Sachkunde verfügt. Es hat damit den medizinischen Standard in unzulässiger Weise selbst bestimmt.

 

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.022021 – VI ZR 44/20 

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Tod nach Kaiserschnitt-Geburt

Keine Behandlungsfehler-Haftung: Nur wenn die von der Kindesmutter gewünschte sekundäre Sectio unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation bei einer Betrachtung ex ante keine medizinisch vertretbare Alternative war, ist das Einlassen des Arztes auf den Wunsch der Kindesmutter als behandlungsfehlerhaft zu bewerten.

 

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.01.2021 – VI ZR 60/20 

Baby
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Durchfahren von Coronavirus-Tests

Keine Körperverletzung durch Corona-Schnelltest in Schule

Mehrere Kinder einer 4. Schulklasse hatten Kontakt zu einem Corona-positiv getesteten Kind. Nachdem das Gesundheitsamt hiervon Kenntnis erlangte, führte es am nächsten Morgen in der Klasse einen Schnelltest bei allen Schülern durch. Die Mutter eines getesteten Kinds zeigte den zuständigen Mitarbeiter des Gesundheitsamts wegen Körperverletzung im Amt an. Sie legte dazu ein Attest einer Allgemeinärztin vor, nach dem ihr Kind durch die Testung unter anderem eine schwere psychische Traumatisierung erlitten haben soll.

Die Staatsanwaltschaft Aurich lehnte eine Strafverfolgung mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Gegen die Einstellung des Verfahrens legte die Mutter erfolglos Beschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft ein. Schließlich rief die Mutter das OLG an.

>Ihr Antrag hatte aus formellen und materiellen Gründen keinen Erfolg. Auch das Gericht sah keinen hinreichenden Tatverdacht einer Körperverletzung im Amt. Der Schnelltest sei nach § 25 IfSG zulässig gewesen. Die Durchführung des Tests sei insgesamt verhältnismäßig, um eine große Zahl von Menschen vor einer möglichen Infektion zu schützen. Darüber hinaus sei der Beweiswert des von der Mutter vorgelegten Attests denkbar gering. Es sei mehr als fraglich, wie die Ärztin im Rahmen eines einzigen Termins die Diagnose einer schweren psychischen Traumatisierung habe stellen können. Aufgrund der Ausstellung des Attests ergebe sich gegen sie vielmehr der Anfangsverdacht des Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses (§ 278 StGB).

Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 10.05.2021 – 1 Ws 141/21

veröffentlicht unter juris.de

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Geringe Anforderungen an Patientenvortrag bei hypothetischer Einwilligung

Beruft sich der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin im Falle einer fehlerhaften Eingriffsaufklärung darauf, dass der Patient bzw. die Patientin auch im Falle einer zutreffenden Aufklärung in die betreffende Maßnahme eingewilligt hätte („hypothetische Einwilligung“), so trifft ihn/sie die Beweislast für diese Behauptung, wenn der Patient bzw. die Patientin zur Überzeugung des Tatrichters/der Tatrichterin plausibel macht, dass er bzw. sie – bei ordnungsgemäßer Aufklärung – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Dabei dürfen an die Substantiierung des Patient(inn)envortrags allerdings keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Darüber hinausgehend muss der Patient bzw. die Patientin jedenfalls nicht plausibel machen, dass er bzw. sie sich im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung auch tatsächlich gegen die durchgeführte Maßnahme entschieden hätte.

Im entschiedenen Fall sah der BGH bei einer Abwägung des geringeren Risikos für Nervenschäden gegenüber dem Nachteil stärkerer Schmerzen und stärker eingeschränkter Mobilität einen echten Entscheidungskonflikt gegeben.

 

Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.12.2021 – VI ZR 277/19

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Grober Behandlungsfehler bei der Untersuchung einer Schwangeren

Weist ein Gynäkologe/eine Gynäkologin bei einem pathologischen CTG nicht auf die sofortige Einweisung der Kindesmutter in ein Krankenhaus hin, kann darin ein grober Behandlungsfehler liegen.

Bei einer schweren geistigen und körperlichen Beeinträchtigung eines Kindes (hier: symptomatische fokale Epilepsie, Mikrozephalie, schwere psychosomatische Retardierung und zentrale Sehminderung; 16-jähriger Kläger geistig und von den körperlichen Fähigkeiten her auf dem Stand eines sechs Monate alten Säuglings) kann ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,- € angemessen sein.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.12.2021 – 26 U 102/20

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Bewertungen dürfen nicht belohnt werden

Die Praxis, Verbraucher(inne)n für eine Google-Bewertung einen 50 €-Gutschein zu versprechen oder zu gewähren, verstößt als irreführende geschäftliche Handlung gegen § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UWG. Im Übrigen ist es unzulässig, mit so zustande gekommenen Bewertungen ohne einen entsprechenden Hinweis darauf, dass die Bewertungen gegen Entgelt erfolgt sind, zu werben. Wird mit Kund(inn)enempfehlungen und anderen Referenzschreiben geworben, darf das Urteil des Kunden/der Kundin nicht „erkauft“ sein. Die Verwendung bezahlter Zuschriften und Bewertungen ist unzulässig, wenn auf die Bezahlung nicht ausdrücklich hingewiesen wird.

Landgericht Hildesheim, Urteil vom 28.12.2021 – 11 O 12/21

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Gesetzgeber muss Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen

Das BVerfG hat entschieden, dass der Gesetzgeber Vorkehrungen zum Schutz behinderter Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage treffen muss. Da er solche Vorkehrungen bislang nicht getroffen hat, hat er die aus dem Schutzauftrag des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG hier wegen des Risikos für das höchstrangige Rechtsgut Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) folgende konkrete Handlungspflicht verletzt. Der Gesetzgeber muss – auch im Lichte der Behindertenrechtskonvention – dafür Sorge tragen, dass jede Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen hinreichend wirksam verhindert wird. Er ist gehalten, dieser Handlungspflicht unverzüglich durch geeignete Vorkehrungen nachzukommen. Bei der konkreten Ausgestaltung kommt ihm ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20

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Zur Vorlage eines gefälschten Impfausweises vor dem 24.11.2021

Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke war bis zum 24.11.2021 nicht als Fälschung von Gesundheitszeugnissen oder Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach §§ 277, 279 StGB strafbar.

Bis zu diesem Zeitpunkt stand einer Bestrafung als Urkundenfälschung nach § 267 StGB die privilegierende Spezialität der §§ 277, 279 StGB in der bis dahin geltenden Fassung mit daraus folgender Sperrwirkung entgegen.

Ein aufgrund des Vorwurfs der vor dem 24.11.2021 erfolgten Vorlage eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke ergangener Durchsuchungsbeschluss ist deshalb rechtswidrig.

 

Landgericht Hechingen, Beschluss vom 13.12.2021 – 3 Qs 77/21

- veröffentlicht unter juris.de -

§§ 277-279 StGB mit Sperrwirkung – § 74 Abs. 2 IfSG ist Sonderdelikt

Ein Impfausweis stellt erst dann ein Gesundheitszeugnis im Sinne der §§ 277- 279 StGB dar, wenn er einen konkreten individualisierbaren Menschen erkennen lässt.

Die §§ 277-279 StGB in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung beinhalten eine abschließende spezialgesetzliche Regelung über die Strafbarkeit des Umgangs mit Gesundheitszeugnissen, welche den Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 267 StGB sperrt.

Bei § 74 Abs. 2 IfSG in der ab dem 24.11.2021 gültigen Fassung, wonach mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 wissentlich und zur Täuschung im Rechtsverkehr nicht richtig dokumentiert, handelt es sich um ein Sonderdelikt für impfberechtigte Personen.

Oberlandesgericht Bamberg, Beschluss vom 17.01.2022 – 1 Ws 732-733/21

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Zur Fälschung von Antigentests vor dem 24.11.2021

Bescheinigungen über Corona-Antigentests sind Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 277 StGB. Die strafbare Fälschung solcher Zeugnisse kann jedoch nur durch Personen erfolgen, die taugliche Täter im Sinne des § 277 StGB sind. Wurde eine mögliche Fälschungstat vor dem 24.11.2021 begangen, und war der bzw. die Angeschuldigte zu diesem Zeitpunkt kein(e) taugliche(r) Täter(in) im Sinne des § 277 StGB a.F., hat er bzw. sie sich weder wegen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen noch wegen Urkundenfälschung (nach § 267 StGB) strafbar gemacht.

Landgericht Karlsruhe, Beschluss vom 26.11.2021 – 19 Qs 90/21

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Bundesgerichtshof verwirft sog. "Taggenaue Berechnung" des Schmerzensgeldes

Der Kläger wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus, u.a. musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Der Kläger ist seither zu mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Die Einstandspflicht der Beklagten (Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Pkw) steht dem Grunde nach außer Streit. 

 

Bisheriger Prozessverlauf 

 

Das Landgericht hat dem Kläger, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ein Schmerzensgeld von 100.000 € zugesprochen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 200.000 € verurteilt.  

 

Nach der vom Berufungsgericht hierbei angewendeten Methode der sog. "taggenauen Berechnung" des Schmerzensgeldes ergibt sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind. Das Berufungsgericht hat diese Tagessätze - ausgehend von bestimmten Prozentsätzen eines durchschnittlichen Einkommens - für die verschiedenen Behandlungsstufen auf 150 € (Intensivstation), 100 € (Normalstation), 60 € (stationäre Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schädigungsfolgen angesetzt. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor "taggenau" errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Berufungsgericht hat auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vorgenommen. Von der nach der oben aufgeführten Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Berufungsgericht im Streitfall keinen Gebrauch gemacht. 

 

Mit der vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. 

 

Entscheidung des Bundesgerichtshofs 

 

Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. 

 

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt. 

 

Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene "taggenaue Berechnung" des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lässt wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibt unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten hat, wie die Verletzungen behandelt wurden und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst wurde. Gleiches gilt für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trägt der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung. Das Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben.  

Vorinstanzen:  

 

Landgericht Darmstadt - Urteil vom 17. September 2019 - 2 O 227/14 

 

Oberlandesgericht Frankfurt a.M. - Urteil vom 4. Juni 2020 - 22 U 244/19 

 

Die maßgeblichen Vorschriften lauten: 

 

§ 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) 

 

(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. 

 

§ 287 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) 

 

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. (…) 

 

Karlsruhe, den 15. Februar 2022

Nr. 020/2022 vom 15.02.2022

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